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Archiv-Artikel

in fußballland Der Geist, der stets verneint

CHRISTOPH BIERMANN über eine Geburtstagsfeier, die Kommerzialisierung im Fußball, Nazis im Stadion und Punkrock, der dick macht

Christoph Biermann, 43, liebt Fußball und schreibt darüber.

Nein, ich mag meinen Punkrock nicht! Zweieinhalb Jahrzehnte nach seinem Urknall lässt er aus seinen Hörern nur noch alte Männer werden. (Und alte Frauen.) Die Dreifaltigkeit aus Fußball, Bier und Punk macht leider auch nicht selig, sondern dick. Und Podiumsdiskussionen haben eine narkotisierende Wirkung auf mich, wenn Leute aufstehen und sagen: „Ich find das echt interessant, wie ihr hier mit dem Thema umgeht, aber …“ So stand ich irgendwann etwas benommen vor einer Gedenktafel im „Salvador-Allende-Haus“ in Oer-Erkenschwick und fragte mich, warum dem Namensgeber so viele Rechtschreibfehler zugemutet wurden.

Doch im Grunde war es ein schöner Tag, als das Bündnis aktiver Fußballfans seinen zehneinhalbten Geburtstag feierte (pünktlich zum zehnten klappte die Organisation nicht). Selbst wenn halt eine vermaledeite Punkrockband das Kulturprogramm bildete und einige Kombattanten ihren SoWi-Seminarton einfach nicht unterdrücken konnten. Aber diesem losen Haufen von Aktivisten soll trotzdem ein Ehrenkranz geflochten werden, denn ohne sie wäre die Welt der Fußballfans weit weniger schön. Allerdings dürften einige Kämpferinnen und Kämpfer gegen den Rassismus und für Stehplätze in den Kurven, gegen Kommerzialisierung und polizeiliche Repression von Fans hymnisches Lob wahrscheinlich eher erschrocken entgegennehmen. Gilt ihnen doch das zutiefst deutsche Credo: Alles wird immer schlechter.

Beim Versuch der Feststellung, dass inzwischen weniger Nazis im Stadion nerven, stöhnen sie gequält auf, weil das gar nicht sein kann. Schlimm ist auch die Kommerzialisierung des Fußballs, was immer die genau sein mag. Im Zweifelsfall hat sie mit Geld zu tun; und weil es da bekanntlich einiges gibt, schreitet die Kommerzialisierung halt unaufhaltsam voran. Na ja, und was Polizei oder Ordnungskräfte mit Fußballfans veranstalten, klingt schwer nach Schurkenstaat. Weil der Kulturpessimismus regiert, gerät mitunter außer Sicht, dass weitgehend nazifreie Kurven auch dem Engagement von BAFF zu danken sind. Die von BAFF zum Thema gemachte Ausstellung „Tatort Stadion“ ist eine Erfolgsgeschichte und wurde in den letzten beiden Jahren an über 30 Orten gezeigt. BAFF hat auch viel dazu beigetragen, dass Deutschland das einzige Land in Europa ist, wo es in den Stadien noch Stehplätze gibt.

Überhaupt ist hierzulande der Besuch von Spielen so günstig wie in keiner anderen großen europäischen Fußballnation. Initiativen, die BAFF angeschlossen sind, haben sich in vielen Klubs Mitsprache erkämpft, und andere Pressure-Groups unter den Fußballfans haben sich im letzten Jahrzehnt viel bei der einzigen erklärt politischen Fanorganisation abgeschaut.

Mit viel Geschick, mit Witz und penetrantem Nerven hat BAFF pro bono contra malum gewirkt. Zuletzt hat der Verbund mit dazu beigetragen, dass der Sicherheitswahn der Fußballfunktionäre sogar von Bundespräsidenten Johannes Rau zart gemahnt wurde. Ihre Dokumentation „Die hundert ‚schönsten‘ Polizeischikanen“ haben sie dem ersten Mann des Staates in Berlin auch in die Hand gedrückt. Ein weiteres hilfreiches Buch zur Überschau der BAFF-Themen ist ebenfalls gerade erschienen, („Ballbesitz ist Diebstahl“, Verlag: Die Werkstatt), in dem es zwar auch wieder ein bisserl viel SoWi-Seminartöne gibt, aber zum Glück fast keinen Punkrock. Man könnte noch von Auszeichnungen, Förderungen und internationaler Vernetzung erzählen, aber zum Selbstlob wollte in Oer-Erkenschwick niemand anheben.

Zumindest einen lustig verworrenen Diaabend mit Bildern aus zehn Jahren gab es, an dessen Ende Dieter Bott für unablässige Unterstützung der Arbeit von BAFF ausgezeichnet wurde. Als Geist, der stets verneint, bekam der 60-jährige Erfinder der Fan-Projekte einen Preis überreicht, benannt nach Nordkoreas Sensations-Torschützen Pak Doo-ik gegen Italien bei der WM 1966. Bott dankte knapp, und um sich seine Rührung nicht anmerken zu lassen, kasteite er in aller Strenge, dass bei der nachmittäglichen Diskussion zu wenig radikale Positionen bezogen worden seien. Es war herrlich, fast hätte ich mir noch die Punkband angehört.